Wer lässt sich schon von Ergebnissen schrecken?
Einzig, die bezahlte Lohnarbeit hält einige von der Reise in Deutschlands gesichtsloseste Stadt ab. So als halbes dreckiges Dutzend auf einer unmöglichen Mission nimmt das frühe Drittel dieser Anfeuerungsbrigade entspannt ein Frühstück am Südkreuz.
Die anderen Zweidrittel decken sich mit Takeaway-Frühstück ein. Lediglich die unerbittlich herannahende Abfahrt treibt uns zu dem Bahnsteig, an dessen Seite idealerweise das zugaufnehmende Gleis verlegt wurde. Unsere Hoffnung auf ein Weiterkommen ist nicht auf ein mögliches Finale ausgerichtet, sondern nur noch auf das damit verbundene so notwendige Erfolgserlebnis für die Mannschaft.
Der Weg ist nicht das Ziel
Unbestritten haben Direktverbindungen den Vorteil, dass man sich so richtig schön ausbreiten kann. Also Getränke, Snacks und Konterwasser ausgepackt und los geht’s. Die Nicht- oder Nicht-mehr-Rauchenden beobachten verzückt, wie genau man aus den Daten der Bahn-App die Rauchpausen herauslesen kann. Das hätten sie gleich als Feature implementieren sollen.
Halle, Erfurt und zack gemütlich gleitend nach Bembeltown gekommen. Mal wieder. Diesmal nicht wie sonst Relais-Station, aber wegen des Kopfbahnhofes mit einem längeren Aufenthalt. Die Letzten werden die Ersten sein. Also nehmen wir das als Zeichen für alles Kommende.
Andersrum aus Frankfurt raus und ihr ahnt es, hügelt sich wieder die Landschaft so dahin. Später im Stadion sind wir auf den schönen Gedanken gekommen, dass die Landschaft um Stuttgart eigentlich ganz ansprechend ist. Gerade [Achtung Radcontent!] für den sportlich ambitionierten Radfahrer ist es eine lohnende Gegend. Schade nur, dass sie es so mit Ortschaften verschandelt haben. Inklusive unseres Zielortes Stuttgart, einer Stadt, die nichts hat, was einem im Gedächtnis haften bliebe. Obwohl ich mich zu erinnern meine, die Haupthalle des Bahnhofes ganz schön gefunden zu haben – das war in den Neunzigern. Ungefähr seit dieser Zeit versuchen sie auch den Bahnhof zu verbuddeln, wofür es mittlerweile mehr Pro-Argumente gibt als Contra. Vermutlich wird Stuttgart dann noch autogerechter. Klingt widersprüchlich, aber so wird es sein.
Ein Wahrzeichen hat Stuttgart dann doch, einen Fernsehturm, der es wagen kann, sich mit dem schönsten zu vergleichen. Als der SWR noch eine Stationskennung hatte, tauchte der desöfteren auf. Es ist ja nicht so, dass wir in der Schönen Stadt mit Sehenswürdigkeiten in mediterran-katholischer Opulenz überversorgt seien, aber mit Funk- und Fernsehturm, Brandenburger Tor und Gedächtniskirche und dem Potemkinschen Schloßnachbau gibt es doch ein paar Bauten, wo jede/r sofort sagt, „Dit is Berlin!“ (natürlich in ihren heimischen Dialekten.)
Kulinarische Erlebnisse und verkehrstechnische Unwegbarkeiten
Noch im Hessischen haben wir einen Tisch im Landgasthaus Lautenschlager reserviert. Bis auf die geklärte Brühe ist alles recht deftig angelegt, aber auch vegan. Krustenbraten mit Kloß ist zu empfehlen. Da wir auch wieder zu siebt in Berlin angekommen sind, kann man die anderen Gerichte auch gefahrlos zu sich nehmen. Was ja angesichts manch sozialmedialer Äußerung nicht immer selbstverständlich zu sein scheint. Irgendwie tragen einige doch noch recht schwer, dass wir es waren, die sie in die „Badlands“ der zweiten Liga geschubst haben. Hat eigentlich mal jemand untersucht, wie sich die Mieten im Prenzlauer Berg nach dem 27.Mai 2019 entwickelt haben?
Unweit des Essenlokals ist praktischer Weise eine U-Bahnstation. Also das, was bei uns eigentlich eine Straßenbahn ist, nur in größtenteils unterirdisch. Keine halbe Stunde später sind wir am Gottlieb-Daimler-Stadion, dem schnellstraßenumspülten Kleinod des VfBs. Offiziell heißt es MHP-Arena. Bitte, wer gibt denn seinem Stadion einen Namen, der klingt wie ’ne schlimme Autoimmun-Erkrankung?
„Doctor House!“
„Ja, ganz zweifelsohne, alle Symptome sprechen für MHP…“
„Meinen Sie wirklich, dass es Morbus Hypercerebral Parese…“
„Der VfB scheint aber derzeit auf dem Weg der Besserung zu sein.“
Lachband ab.
Ohne durch die Pampa laufen zu müssen, kein Zugang zu einem Stadion in Deutschland, wenn man mit den Öffentlichen kommt. Ist bestimmt in einem der nachgeordneten Artikel des Grundgesetzes niedergelegt. Der Einlass ist freundlich und zügig – Werder, wollt ihr nicht mal gucken, wie die das so machen? Ihr macht doch auch Betriebsausflüge.
Im Stadion
Stimmlich versuchen wir beim Begrüßen der Mannschaft gegenzuhalten. Die Cannstatter kann schon was… Unsere Szene kommt spät, gibt aber schon beim Reinkommen mit dem „Und niemals vergessen…“ die Intensität vor, die wir heute brauchen werden. Fahnen werden verteilt und die Blockbeleuchtung verteilt sich.
Die Männer auf dem Platz fangen wie so oft eigentlich ganz gut an. Wir singen als wollten wir alle Meistersinger werden. Irgendwann wird der Block schön rot ausgeleuchtet. Den rechts und links von uns sitzenden schwäbischen Hausfrauen und auch -Männern mißfällt das. Es wird gepfiffen, aber wir werden auch aufgefordert, auf unsere Verdauung zu achten. Aber wenn man so früh aufstehen muss, dann ist der gewohnte Tagesablauf eben oft etwas durcheinander. Aber nett, dass sie so fürsorglich nachfragten.
Zur Halbzeit liegen wir noch aufholbar zurück. Derzeit jedoch scheint auch das zuviel zu sein. Nach einem, sagen wir mal, unglücklichen entschiedenen Schiedsrichterball pfeift Sascha Stegemann ab und gibt Urs Rot. Diese Ungeheuerlichkeit erklärt er in der epischen Breite einer Telenovela. Wir machen uns auf dem Weg zum Bahnhof, der ähnlich gut ausgeschildert ist wie der Hinweg. Nur kurz sind wir vom rechten Pfad abgekommen. Mit Hilfe von ebenfalls Fehlgegangenen gelingt es uns die Schnellstraße zu meiden. Auch muss der an dieser Ecke stehende Polizist keine Überlastungsanzeige bei seinem Arbeitgeber machen, weil er uns vor misslicher Lage hätte schützen müssen.
Ziemlich zügig gelangen wir auf den Bahnsteig und sogar in den gerade einfahrenden Zug. Weshalb dieser dann noch eine gefühlte Ewigkeit steht, bleibt unerklärlich. So kommen wir mit netten, verständigen VfB-Fans ins Gespräch und natürlich müssen wir unsere Lage erklären.
Dass wir noch immer mit Zuversicht auf unseren Trainer gucken, findet rationalen Anklang, aber, glaube ich, nur geringes emotionales Verständnis.
Mittlerweile rollen wir gen Hauptbahnhof. In Cannstatt steigen neben mutmaßlichen Kurven-VfBlern die ersten blutverschmierten Halloweenjünger in die Bahn. Das scheint hier eine ziemlich große Nummer zu sein. Gut, sie haben am nächsten Tag einen Feiertag. Das mag bei der Entscheidung für eine unterwöchige Party geholfen haben. Ansonsten wird hier im Ländle geschafft.
Geschafft haben wir das rechtzeitige Ankommen am noch überirdischen Bahnhof. So können wir uns mit Flüßigem und Festem bei einem überregionalen Nahrungsmitteldealer für die Nachtfahrt versorgen. Käse, Salami, etwas Gebäck, Bier, Lillet und Wild Berry sollen uns die Nacht angenehm gestalten.
Wer so eine Pechsträhne wie wir hat, der muss zwingend erstklassig nach Hause fahren. Dank der Nachtzugphobie der DB kommen wir in den Vorzug ab Mannheim mit einem Nightjet dem Morgengrauen und der Schönen Stadt entgegen zu fahren. Der Nightjet wird ja von der ÖBB betrieben, aber hat anscheinend aus ganz Europa Waggons eingesammelt und gibt sie nicht mehr her. So ist der unsere Sitzplätze beherbergende Wagen einer der SBB.
Das große vergleichende Erste-Klasse-Ranking
Während die ledernen Sitze im ICE sehr bequem sind, und sich bemühen müden Knochen im Sitz zu halten, sind die wollenen Bezüge des SBB-Kandidaten oberflächlich betrachtet etwas konturenschwacher gestaltet. Auch ist die Kopfstütze nur einseitig. Dafür hat jeder Platz eine eigene (!) und funktionierende Steckdose. Damit steht der Sieger vor Ende der Bewertung fest, denn das man einige harte Stellen mit einer Jacke auspolstern muss, um über zwei Sitze geräkelt bequem zu liegen, kann der SBB nicht negativ zu Buche schlagen. Denn hier hat ein Bahnheld nicht zu seiner gewohnten Leistung gefunden, sodass aus dem vermeintlichen 2.Klasse- Liegewagenabteil ein ganz normaler 2.Klasse-Wagen wurde. Auch heimwärts sind wir dekadent und bleiben erstklassig.
Zu einer gewohnt frühen Stunde trudeln wir in Südkreuz ein, sind aber diesmal auf dem Heimweg. Die Niederlage schmerzt schon nicht mehr, dennoch hoffen wir insgeheim im zwölften Anlauf aber…